Kitaev-Kette und wie Du ungepaarte Majorana-Fermionen bekommst
Elektronen können als Qubits mit Spin-Up- und Spin-Down-Zuständen verwendet werden, um Informationen zu speichern. Das Problem ist, dass diese Qubits empfindlich auf elektromagnetische und thermische Störungen reagieren, wie sie in elektrischen Schaltkreisen auftreten. Wir bezeichnen diese Wechselwirkung als Dekohärenz. Die Frage ist: Wie können wir einen vor Dekohärenz geschützten Quantenspeicher bauen?
Alexei Kitaev kam auf die Idee (in seinem Paper aus dem Jahr 2000), nicht Spins als Quantenspeicher zu verwenden, sondern die so genannten Majoara-Fermionen in einer eindimensionalen fermionischen Kette.
Im Folgenden betrachten wir eine eindimensionale Kette der Länge \(L\). Jedes Kettenglied kann entweder leer \( |0\rangle \) oder mit einem Elektron besetzt \( |1\rangle \) sein. Wir nehmen an, dass die Elektronen in der Kette nur eine Spinorientierung haben. Mit dem Vernichtungsoperator \(a_j\) können wir ein Elektron an der \(j\)-ten Stelle vernichten und mit dem Erzeugungsoperator \(a_j^{\dagger}\) können wir ein Elektron an der \(j\)-ten Stelle erzeugen. Hier geht \(j\) über die Kettenglieder: \( j ~=~ 1, ~..., ~ L \).
Zwei Arten von Fehlern können in einem Quantensystem auftreten und somit Dekohärenz verursachen:
Klassische Bit-Fehler - dargestellt durch die Pauli-Matrix \(\sigma^{\mathrm x}_j \), ändert den \(j\)-ten Zustand von \(|0\rangle\) zu \(|1\rangle\) oder umgekehrt. Dieser Fehler kann bei der Kitaev-Kette wegen der Ladungserhaltung nicht auftreten. Das ist schon mal gut!
Phasen-Flip-Fehler - dargestellt durch die Pauli-Matrix \(\sigma^{\mathrm z}_j = 1 - 2\, a^{\dagger}_j \, a_j \) (siehe Jordan-Wigner-Transformation), kann das Vorzeichen des \(j\)-ten Zustands ändern:
Definition des Phasen-Flip-Fehlers als Pauli-Z-MatrixAnker zu dieser Formel $$ \begin{align} \sigma^{\mathrm z}_j \, |0\rangle ~&=~ |0\rangle \\
\sigma^{\mathrm z}_j \, |1\rangle ~&=~ -|1\rangle \end{align} $$Phasen-Flip-Fehler in einer Kitaev-Kette.
Majorana-Fermionen
Im Jahr 1937 spekulierte Ettore Majorana, dass es ein Teilchen geben könnte, das sein eigenes Antiteilchen ist. In der Sprache der zweiten Quantisierung bedeutet dies, dass die Erzeugung und Vernichtung eines Teilchens mit demselben Operator erfolgen sollte:
Wir können also einfach den Operator \(c\) oder \(c^{\dagger}\) verwenden, um ein Majorana-Fermion zu erzeugen und zu vernichten.
Wir können den fermionischen Vernichtungsoperator \(a_{j}\) ihn in einen reellen \(c_{2j-1}\) und einen imaginären Teil \(c_{2j}^{\dagger}\) aufspalten. Dabei sind \(c_{2j-1}\) und \(c_{2j}^{\dagger}\) Majorana-Operatoren. Dann bilden wir auch den adjungierten Operator von \(a_{j}\), nämlich den Erzeugungsoperator \(a_{j}^\dagger\):
a_j^{\dagger} ~&=~ \frac{1}{2} \left( c_{2j-1} - \mathrm{i}\,c_{2j}^{\dagger} \right) \end{align} $$
Für jede physikalische (Elektronen-)Stelle \(j\) gibt es immer zwei Majorana-Stellen \(2j-1\) und \(2j\). Die Majoranastellen treten also paarweise auf und ihre Anzahl ist gerade. Wir können Gl. 3
äquivalent umformulieren und die Majorana-Operatoren als Überlagerung der Elektronenoperatoren ausdrücken:
c_{2j} ~&=~ \mathrm i \left( a_j^{\dagger} - a_j\right) \end{align} $$
Wie du siehst: Die Majorana-Operatoren \(c_{2j-1}\) und \(c_{2j}\) wirken auf dieselbe Stelle \(j\). Wir können leicht einsehen, dass \(c_{2j-1}\) und \(c_{2j}\) tatsächlich selbstadjungierte Operatoren sind: \( c_{2j-1} = c_{2j-1}^\dagger\) und \(c_{2j} = c_{2j}^\dagger\).
Drücken wir den Teilchenzahloperator \( a^{\dagger}_j \, a_j \) im Phasen-Flip-Fehler mit der Majorana-Darstellung 3
aus:
~&=~ 1 - 2\, \frac{1}{2}(1+\mathrm{i}\,c_{2j-1}c_{2j}) \\\\
~&=~ \mathrm{i}\,c_{2j-1}c_{2j}
\end{align} $$
Wenn die beiden Majorana-Operatoren in Gl. 5
zu verschiedenen Elektronenplätzen gehörten, könnte der Phasenfehler 5
beliebig klein gemacht werden, wenn wir die Kette lang genug machen. In der Tat gibt es immer noch eine Wechselwirkung zwischen den Majorana-Stellen an den Rändern der Kette, die jedoch exponentiell mit der Länge der Kette abnimmt.
Als Nächstes wollen wir einen Hamilton-Operator konstruieren, der Majorana-Fermionen (genauer gesagt: Majorana-Nullmoden) hervorbringt:
~&-\mu \, \underset{j ~=~1}{\overset{L}{\boxed{+}}}~ \left( a^{\dagger}_j\,a_j - 1/2 \right) \\\\
~&+~ \underset{j ~=~1}{\overset{L}{\boxed{+}}}~ \left( \Delta\,a_j\,a_{j+1} ~+~ \Delta^\ast \, a^{\dagger}_{j+1} \, a^{\dagger}_{j} \right)
\end{align} $$
Der erste Summand in
6
, mit der Hopping-Amplitude \(w\), beschreibt das Hüpfen eines Elektrons vom Ort \(j\) zu \(j+1\) und umgekehrt.Der zweite Summand in
6
beschreibt mit dem chemischen Potenzial \(\mu\) die Energie am Ort \(j\).Der letzte Summand in
6
beschreibt die Supraleitung mit der Energielücke \(\Delta\). Der Parameter \(\Delta\) gibt den Energiegewinn an, wenn zwei Elektronen ein Cooper-Paar bilden. Dieser Teil des Hamilton-Operators erzeugt oder vernichtet zwei benachbarte Elektronen an den Stellen \(j\) und \(j+1\).
Als nächstes verwenden wir die Majorana-Operatoren 4
, um damit den Hamilton-Operator 6
umzuschreiben:
~&+~ \frac{\mathrm{i} }{2} \, \left(w+|\Delta|\right)\, \underset{j ~=~1}{\overset{L-1}{\boxed{+}}}~ c_{2j}\,c_{2j+1} \\\\
~&+~ \frac{\mathrm{i} }{2} \,\left(|\Delta|-w\right) \, \underset{j ~=~1}{\overset{L-2}{\boxed{+}}}~ c_{2j-1}\,c_{2j+2} \end{align} $$
Wenn wir den Hamilton-Operator mit Majorana-Operatoren ausdrücken, können wir isolierte Majorana-Fermionen entdecken. Wir haben also drei Parameter \(\mu\), \(w\) und \(|\Delta|), die wir ändern können, um verschiedene Phasen der Kitaev-Kette zu erreichen. Die Kitaev-Kette hat zwei Phasen: die triviale Phase und die topologische Phase. In der topologischen Phase werden wir isolierte Majoranas finden können.
Spezialfall #1: Wenn wir \(|\Delta|=w=0\) in den Hamilton-Operator
7
setzen, dann vereinfacht er sich zu:Majorana-Hamiltonian ohne Hopping und SupraleitungAnker zu dieser Formel $$ \begin{align} H_1 ~&=~ -\frac{\mathrm{i} }{2} \, \mu\, \underset{j ~=~1}{\overset{L}{\boxed{+}}}~ c_{2j-1}\,c_{2j} \\\\
~&=~ -\frac{\mathrm{i} }{2} \, \mu\, \left( c_{1}\,c_{2} ~+~ c_{3}\,c_{4} ~+~ ... ~+~ c_{2L-1}\,c_{2L} \right) \end{align} $$In diesem Fall sind zwei Majorana-Stellen derselben Elektronenstelle gekoppelt. Dies ist der triviale Fall, da hier ALLE Majoranastellen gekoppelt sind (siehe Illustration 2).
Spezialfall #2: Wenn wir das Paarpotential und die Hopping-Amplitude gleich \(|\Delta|=w \) setzen und das chemische Potential \(\mu=0\), dann wird der Hamilton-Operator
7
zu:Majorana-Hamiltonian mit Supraleitung und HoppingAnker zu dieser Formel $$ \begin{align} H_1 ~&=~ \mathrm{i} \, w\, \underset{j ~=~1}{\overset{L}{\boxed{+}}}~ c_{2j}\,c_{2j+1} \\\\
~&=~ \mathrm{i} \, w\, \left( c_{2}\,c_{3} ~+~ c_{4}\,c_{5} ~+~ ... ~+~ c_{2L-2}\,c_{2L-1} \right) \end{align} $$Durch die Wahl des Parameters \(\mu=0\) haben wir die beiden isolierten Majorana-Stellen vom Rest der Kette entkoppelt. Die Operatoren \(c_1\) und \(c_{2L}\) sind nicht im Hamilton-Operator
9
enthalten. Wenn wir den Hamilton-Operator8
diagonalisieren und die Eigenwerte dieser beiden Majora-Randzustände plotten, sehen wir, dass sie die Energie Null haben. Deshalb nennen wir sie Majorana-Nullmoden. Dieser Spezialfall bildet die topologische Phase der Kitaev-Kette (siehe Illustration 2).Wenn wir die Wahrscheinlichkeitsdichten \(|\psi_0|^2\) und \(|\psi_1|^2\) der Majorana-Nullmoden als Funktion der Position auf der Kitaev-Kette auftragen, sehen wir, dass sie sich tatsächlich an den Rändern der Kette befinden.
Zwei Majorana-Nullmoden am Ende der Kitaev-Kette. Hier haben wir \(N=30\) Kettenglieder modelliert.
Wir haben einen speziellen Fall betrachtet, in dem das chemische Potenzial \( \mu = 0 \) ist. In dieser topologischen Phase haben wir zwei Majorana-Nullmoden erhalten. Das Besondere an der Kitaev-Kette ist, dass diese topologische Phase nicht nur bei \(\mu=0\) auftritt:
7für \(N=30\) Kettenglieder.
Topologische Phase: Wie in Abbildung 3 zu sehen ist, zeigt das Spektrum zwei entartete Grundzustände mit Energien gleich Null, die bis zum Verhältnis \(\mu/w = 2 \) stabil bleiben. Darüber hinaus haben diese Majorana-Nullmoden eine Energielücke zu den angeregten Zuständen (in grau dargestellt), die mit zunehmendem chemischen Potenzial \(\mu \) abnimmt. Diese Energielücke macht die Majorana-Nullmodi stabil gegenüber Phasenfehlern.
Triviale Phase: Oberhalb des Verhältnisses \(\mu/w > 2 \) (d. h. starke Paarung zweier Majorana-Stellen am selben Kettenglied) wird die Entartung der Majorana-Nullmoden aufgehoben und ihre Energie ist nicht mehr Null. In dieser Phase verschwinden die Majorana-Nullmoden.
In unserem Modell 6
paaren wir, im Supraleiterterm mit \(\Delta\), Elektronen von zwei verschiedenen Stellen \(j\) und \(j+1\). Wir können keine zwei Elektronen an der gleichen Stellepaaren, da in unserem Modell auf jede Stelle \(j\) in der Kette genau ein Elektron passt (und nicht zwei). In anderen Worten: Wir haben in diesem theoretisch ausgedachten Modell keinen Spin. Eine solche Paarung beschreibt einen p-Wellen-Supraleiter.
Natürlich können wir uns fragen, ob das Modell 6
für einen spinlosen p-Wellen-Supraleiter experimentell überhaupt realisierbar ist. Es ist schon schwierig einen p-Wellen-Supraleiter zu konstruieren, und Kitaev möchte, dass dieser ohne Spin-Entartung ist, was praktisch unmöglich ist, weil die Elektronen ja einen Spin HABEN.
In einer realen Kette gibt es also zwei Paarungen (siehe Illustration 5), eine für Spin-up- und eine für Spin-down-Elektronen. Dies führt jedoch dazu, dass die beiden Majorana-Nullmoden am Rand nun gepaart sind, wodurch der Zweck der Kitaev-Kette eliminiert wird.
10 Jahre nach der Veröffentlichung von Alexei Kitaev wurde das Problem eines experimentell unmöglichen spinlosen p-Wellen-Supraleiters von Lutchyn, Sau und Das Sarma gelöst. Wir könnten einen effektiven p-Wellen-Supraleiter herstellen, indem wir eine 1d-Kette auf einem herkömmlichen s-Wellen-Supraleiter mit Spin-Bahn-Kopplung platzieren und ein externes Magnetfeld benutzen. Auf diese Weise können wir die Spin-Entartung aufheben und damit eine Kitaev-Kette mit Majorana-Nullmoden experimentell realisieren.